Unziale – Schrift der Stabilität

Die Unziale - uralte Schrift aus dem frühen Mittelalter

Die Unziale ist eine Schrift, die ca. 1800 Jahre alt ist. Sie entstand sich in der nachrömischen Epoche und entwickelte sich in den nachfolgenden Jahrhunderten in England und Irland weiter. Mönche brachten es zur höchsten Kunstfertigkeit und verwendeten die Unziale für geistliche Texte. Bis heute fasziniert uns diese uralte Schönheit, wenn wir z.B. die irische Halbunziale - eine Weiterentwicklung der eigentlichen Unziale - im berühmten Book of Kells bewundern können. 

Zum Charakter der Schrift

Wenn wir die Unziale betrachten, so wirkt sie auf uns eher schwer und gedrungen. Diese Wirkung hat mehrere Ursachen. Die meisten Buchstaben haben dieselbe Höhe, so dass sie sich wie ein gleichförmiges Band aneinanderreihen. Besonders typisch ist die Betonung der Rundungen. Hinzu kommt, dass die Unziale traditionell mit einer sehr flachen Federhaltung geschreiben wurde. All diese Merkmale führen zu einer Betonung der Horizontalen. Die Unziale stellt aus kunsttherapeutischer Sicht das Gegenstück der aufstrebenden Textura dar.

Bodenständigkeit und Stabilität

Im Alltag finden wir diese sehr schöne Schrift kaum noch an. Lediglich Bestattungsinstitute bedienen sich der Unziale, so dass sie zu Unrecht in Vergessenheit gerät. Das vergleichsweise Schwere, Gedrungene entspricht wohl nicht unserem Zeitgeist. Dabei kann sie uns aus kunsttherapeutischer Sicht wichtige Impulse liefern. Sie kann uns dabei helfen, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, uns zu erden, zu verankern. Gerade jetzt haben wir es so dringend nötig, immer wieder Bodenhaftung zu bewahren und uns vom Chaos nicht wegspülen zu lassen.

Beruhigende Wirkung

Vor einigen Jahren durfte ich die Unziale bei der Tessiner Kalligrafin Gabriela Hess erlernen, und seitdem beschäftige ich mich immer wieder mit ihr. Wenn ich sie schreibe, dann stellt sich durch die horizontale Ausrichtung bei mir eine tiefe Ruhe und Ausgeglichenheit ein. Die runden Buchstaben vermitteln mir Halt und Stabilität. Ich werde eins mit der Schrift, versinke in mir, vergesse Zeit und Raum. In meinem Inneren entsteht Ordnung. Verstärken kann ich diese Wirkung, wenn ich im Querformat arbeite.